Autorin, Übersetzerin, Lektorin – Lekto … was?

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Autor:innen schreiben Bücher. Übersetzer:innen übersetzen sie. Aber was macht eigentlich eine Lektor:in? Wenn ich nach meinem Beruf gefragt werde, ist die Antwort nicht selten ein unverbindliches »Aha«. Manchmal gefolgt von der Nachfrage: »Da guckst du dann nach der Rechtschreibung und so, oder?«

Und auch wenn ich finde, dass Lektor:in einer der spannendsten und zufriedenstellendsten Zeitvertreibe überhaupt ist, komme ich ins Schleudern, wenn ich kurz und prägnant erklären soll, was ich eigentlich mache. Die Kürzestantwort: »Ich mache Bücher.« Die lange Antwort ist wirklich lang, aber super interessant. Versprochen.

Wer suchet – … der muss viel lesen 

Bevor irgendwer überhaupt ans Büchermachen denken kann, muss es erst einmal ein Manuskript geben. Diese Manuskripte sind Fluch und Segen einer jeden Lektor:in. Ob per Post (ja, tatsächlich noch immer!), per E-Mail oder über Literaturagent:innen – der Strom ist (zum Glück!) endlos. An sehr guten Tagen (oder ganz am Anfang des Lektor:innenlebens, als Praktikant:in oder Volontär:in beschäftigt man sich meist intensiv mit unverlangt eingesandten Manuskripten) denkt frau: Großartig! So viele Geschichten! So viele potentielle Bestseller. Spoiler: Leider sind nicht alles Bestseller und das Manuskripteprüfen über weite Strecken zähe Fleißarbeit. Aber dennoch: Manuskripte sind die Grundlage unserer Arbeit und der Lohn ist das sagenhafte Gefühl, wenn man auf Gold stößt.

Ist ein Manuskript gefunden (zu den Kriterien für gute Manuskripte später mehr) und die Rechte daran erworben (ein orientalischer Basar ist nichts dagegen, auch dazu später mehr), beginnt die Kernarbeit des Lektorats, die Redaktion. Okay, das ist ein bisschen im Zeitraffer erzählt, dazwischen kommen in einem Verlag noch Dutzende weitere Schritte von Übersetzung bis zur Programmplanung, aber das gönnen wir uns jetzt einfach.

Lesen, lesen, noch mal lesen

 

Klar, denn Lektor:in kommt vom lateinischen Wort leggere, was – richtig! – lesen bedeutet. Im Idealfall kennt eine Lektor:in das Manuskript bereits, dessen Bearbeitung sie beginnt. Sie hat sich einen Überblick über die Handlung, die Protagonisten und den Spannungsbogen verschafft und sich erste Notizen zu den Baustellen im Text gemacht. Aaaaaber … Ideal haben wir es ja selten, weshalb es vorkommt, dass die Redaktion auch die erste vollständige Lektüre des Manuskriptes ist, vor allem bei Übersetzungen.

Ja, und dann? Einfach loslesen? Genau. Natürlich geht jede Lektor:in anders an ihre Arbeit heran, weshalb ich hier nur für mich spreche. Und ich fange tatsächlich einfach an zu lesen. Bevorzugt am Abend, wenn alles schläft, keiner mehr anruft oder Mails schreibt (jetzt ist es 1.29 Uhr). Ich muss mich einlassen und versenken können, den Puls des Textes aufnehmen, ihn spüren und hören. Jeder Romananfang ist für mich zunächst ein Scheitern, denn jedes Mal sitze ich wieder da und denke: Was soll ich nur machen? Wo anfangen? Wie jemals fertig werden? Dabei muss der Anfang besonders gut sitzen, denn den lesen alle zuerst: Buchhändler:innen, Journalist:innen, Rezensent:innen, Kritiker:innen, Leser:innen. Nicht selten kehrt man am Ende wieder an genau diesen Anfang zurück und beginnt noch mal von vorn.

Unnütze Nützlichkeiten 

Wenn ich die metaphorische Lektoratsbrille aufhabe, ist mein Hirn wie ein Scanner, der Wort für Wort, Zeile für Zeile den Text absucht, wie ein Staubsaugerroboter, der vor und zurück zoomt, sich im Kreis dreht, eine Schleife macht, ein Stück vorwärts kommt, wieder umkehrt: Wiederholungen, schiefe Bilder, endlose Sätze, Überflüssiges, Falsches, allzu Widerwärtiges, Unpassendes, aber auch Fehlendes, Löchriges, Unausgegorenes wird registriert, im besten Fall gleich behoben, ansonsten für später markiert oder für eine Nachfrage an die Autor:in kommentiert. Natürlich gibt es stilistische Kriterien, die einem je nach Verlag oder Auftraggeber:in begleiten, dennoch ist kein Text wie der andere, weshalb jede Redaktion ein erstes Mal ist. Und jedes Mal lernt man wieder etwas dazu, erkennt, wie wenig man weiß, erwirbt ein neues Stück Nischenbildung. Seit ich einmal einen literarischen Thriller lektoriert habe, der im Amerika der 20er Jahre spielte, weiß ich zum Beispiel, dass Tempo-Taschentücher bei ihrer Markteinführung von Hand gefaltet, zu je 18 Stück in roten, grünen und blauen Verpackungen angeboten wurden und ihren Namen bekamen, weil sie der fleißigen Hausfrau das Waschen, Stärken und Bügeln der Stofftaschentücher ersparten.  

Bei einer Redaktion achte ich neben Lesbarkeit und Stil und Ton schlicht auf alles, was mir auffällt. Markennamen, Ortsnamen – überhaupt, geographische Angaben! –, die Kleidung der Figuren, die Floskeln, die sie benutzen, ob sie stehen oder sitzen – jede Behauptung im Text muss verifiziert werden. Das alles im Duktus des Autors, mit Respekt vor seinen sprachlichen Eigenheiten und stilistischen Finessen. 

Ich habe keinen blassen Schimmer, wie Lektorat vor dem Internet funktioniert hat. 

Das Einzige, worauf ich nicht bewusst achte, ist tatsächlich die Rechtschreibung. Es ist immer wieder erschreckend, was einem alles nicht auffallen kann, wenn man einen Text fünf oder zehn Mal liest. Zum Glück gibt es berufenere Menschen als mich, die uns als Korrektor:innen unterstützen. 

Nach der Party

Während eines Lektorats kommt der Moment, in dem man in den Tunnel steigt. Dann werde ich zum ungenießbaren Monster, wenn ich nicht am Text sitzen kann. Die Welt nimmt die Farben der Geschichte an, die ich gerade lese, immer wieder grübele ich, ob nicht die beschriebenen Probleme auch auf mein Leben zutreffen und ernte inzwischen nur noch Augenrollen: Mama aaaarbeitet. Es ist eine intensive Beziehung, die ich mit jedem »meiner« Texte führe, oft nehme ich am Leben und Tagesablauf der Autor:in oder Übersetzer:in über den Lektoratszeitraum mehr Anteil als an dem meiner engsten Freund:innen. Lektorat bedeutet brennende Augen, Sehnenscheideentzündung, schmerzender Rücken und wachsendes Chaos in der Wohnung. Es bedeutet aber auch tiefe Befriedigung, stilles Glück und jubelnder Triumph. Und die blanke Faszination, dass es doch wieder ein Buch geworden ist.

Sonst so …?

Nein, das ist noch längst nicht alles, was eine (Verlags)Lektor:in tut, doch hier reicht es nur noch für den Zeitraffer: Ist der Text im Satz, geht die Vor- und Nachbereitung los. Korrekturen von extern müssen kollationiert, Klappen- und/oder Umschlagstexte geschrieben, Covermotive ausgewählt werden. Es müssen Werbetexte in den unterschiedlichsten Formen erdacht werden und Schlagwörter, um Titel in den Weiten des Netzes und des Sortiments auffindbar zu machen. Es muss geplant, diskutiert, gehirnt werden, wie man mit diesem Buch so viele Leser:innen wie möglich erreicht. Vertreter:innen müssen überzeugt, Präsentationen vorbereitet, Anfragen von Leser:innen beantwortet werden. Manchmal sucht man Illustrator:innen, Vor- und Nachwortschreiber:innen, erstellt Register und Inhaltsverzeichnisse. 

Und immer hat man einen Blick auf die hereinfliegenden Manuskripte, denn – siehe oben. 


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Lektorin & Manuskript. Ein Plädoyer.