Lektorin & Manuskript. Ein Plädoyer.

Lektorat und Manuskript

Es ist ein Paradox des Lektor:innenlebens. Ohne Manuskripte gäbe es keine Bücher, gäbe es keine Verlage, hätten wir keinen Job. Und dennoch ist nur wenig so drückend wie die Last der ungelesenen Texte, die sich im E-Mail-Postfach, als Ausdrucke oder in unseren Readern stapeln.

Mein Respekt vor denjenigen, die sich das Schreiben trauen, ist maßlos. Dazu gehören Talent und eine zündende Idee, aber es braucht vor allem eine enorme Menge Zeit, Energie – und Mut. Die Wenigsten setzen sich hin und hauen in ein paar Monaten konzentrierter Arbeit einen Bestseller raus. Und selbst wenn es Autor:innen gelungen ist, zweifeln sie häufig noch immer an sich und dem, was sie tun.

Da erscheinen also jedes Jahr 70.000 neue Bücher und in diesen unermesslichen Teich soll man seinen eigenen Text hineinwerfen? Wen das nicht ängstigt, dem schlage ich eine Kandidatur als Bundeskanzler:in vor.

Der Papierberg unseres Scheiterns

Doch Hand aufs Herz. So, wie ich mich nie als Künstlerin versuchen werde, so hätten von denen, die sich zum Schreiben berufen fühlen, einige vielleicht besser was Handwerkliches gemacht.    

Natürlich wirkt es aus der Sicht angehender Autor:innen wie die pure, sattgefressene Arroganz, wenn Verlage sich vor ihnen verbarrikadieren. Da werden geradezu militärische Anforderungen an Exposé und Leseprobe gestellt, wenn man überhaupt etwas unverlangt einsenden darf. Und hat man dann sein Innerstes auf den Schreibtisch irgendeiner Lektorin katapultiert (wahrscheinlich eher einer Praktikant:in oder Volontär:in, die mit dem Abarbeiten des Slush Pile betraut werden), bekommt man nach einer demütigend langen Wartezeit eine Standardabsage, die einem ruckzuck den Lebenstraum zerschießt. Das tut weh und ist für alle, die es trifft, nur schwer abzumildern.

Kein Tag wie ein anderer

 

Als ich Volontärin war, hatte ich eine wunderbare Mentorin. Sie ist eine Grande Dame des Lizenz- und Verlagsgeschäfts und hat unter anderem Khaled Hosseinis Drachenläufer für die deutschen Leser entdeckt. Sie gab mir jenen Satz mit, den ich, sollte ich je Grande Dame in irgendwas werden, genau so weitergeben werde: »Wenn du in diesem Job erfolgreich sein willst, solltest du schnell lernen, mit einem riesigen Haufen unerledigter Arbeit klarzukommen.« Der Haufen war damals noch durchaus wörtlich gemeint.

Das Lektor:innenleben ist in dieser Beziehung ein einziges großes Scheitern. Nie ist die Arbeit zu Ende, immer gäbe es noch etwas zu tun, anzuschauen und vor allem zu lesen. Ständig kommt einem die Müdigkeit in die Quere. Man muss das schon wirklich mögen.

Obwohl den größten Teil unseres Arbeitstages (zum Glück für alle Buchschaffenden gibt es ja noch die Nacht) inzwischen das wenig literarische Projektmanagement einnimmt, ist lesen das, was wir die meiste Zeit tun. Neben Gesprächen zur Programmplanung braucht es von uns Begleitmusik rund ums Buch wie Cover, Klappentexte, Vorschautexte, Interviews, Leseproben, Blog-Texte, Schlagwörter, … Es gilt Funkelsätze für Social-Media-Kampagnen aus Texten zu fischen, Vertreter:innen zu briefen und überhaupt allen Abteilungen mit Texten zuzuarbeiten, es wollen Leserbriefe beantwortet, Fahnen kollationiert und revisioniert, Terminpläne im Auge behalten und Übersetzungsaufträge vergeben werden – natürlich für mehrere Buchprojekte gleichzeitig und am besten auch noch für das übernächste Programm. Außerdem sind wir Ansprechpartner:innen für unsere Autor:innen, begleiten Manuskriptideen, klatschen auf Lesungen am lautesten und teilen viele Alltagssorgen, weil leben und schreiben sich nun mal nicht trennen lassen. Und ganz sicher schreit jetzt jede Lektor:in empört auf, weil ich die Hälfte vergessen habe.

Moment, wie war das mit dem Lesen?

Genau, das Lesen. E-Mails, Gutachten, eigene Texte und die von Kolleg:innen, Memos, Briefings, Abläufe, Checklisten, Exposés, Projektbeschriebe, E-Mails, E-Mails, E-Mails und all die Kannstdunurmalschnellguckenobdasgutist-Texte und natürlich die Neuerscheinungen aus anderen Verlagen, wenigstens anlesen, wenigstens ein Gespür dafür bekommen, was so los ist hinter dem eigenen Schreibtisch.

Und dann, jaaa dann gibt es ja noch die Manuskripte. Im halbdigitalen Zeitalter erkannte man Lektor:innen vor allem an großen Transportbehältnissen voller Ausdrucke, die sie von A nach B schleppten, immer besorgt, jede freie Minute, jedes Innehalten, jede Wartezeit gewinnbringend (= lesend) nutzen zu können. Heute tragen wir auf Readern und Tablets ganze Bibliotheken mit uns herum.

Manuskripte kosten Zeit, sind manchmal empörend schlecht und – viel schlimmer – manchmal mittelmäßig gut. Die meisten meiner Kolleg:innen prüfen und lesen in ihrer Freizeit, an Abenden und Wochenenden, im Urlaub, auf Reisen. Nicht lesen bedeutet sofort ein schlechtes Gewissen, denn man könnte jene großartige neue Autor:in verpassen, nach der man die ganze Zeit sucht.

BÄM!

Und dann plötzlich. Ist man elektrisiert. Rast das Herz. Ist die Müdigkeit wie weggeblasen. Ist man kribbelig wie ein Kind vor Weihnachten. Dann, wenn unter den vielen Manuskripten endlich eins dabei ist, aus dem es leuchtet. Man springt und hüpft durch den Text, um so schnell wie möglich so viel wie möglich davon zu erfassen, immer mit der bangen Frage: »Hält das?«, und mit einer Hand schon am Telefon, um die nächste Kolleg:in anzuzünden, danach flammende Gutachten zu schreiben, sich den Mund fusslig zu reden, Liebesbriefe an Literaturagenturen zu verfassen und dann … Daumendrücken. In einem solchen Fall ist das Lektor:innenleben spannend wie ein Thriller.

Also was jetzt? Ja keine Manuskripte mehr an Verlage schicken? Eh sinnlos?

Nein.

Ich glaube fest daran, dass gute Manuskripte ihren Weg finden. Denn was immer die Kriterien sind, nach denen Verlage für ihre Programmplätze prüfen, es muss einen gemeinsamen Nenner bei den wirklich großen Stoffen geben – so meine nächtliche Küchenphilosophie. Und auch wenn es klingt, als zähle nur der nächste große Bestseller, sind wir in dieser Branche alles Idealist:innen und verbrennen uns auch für jene Texte, die nur eine Handvoll Menschen begeistern. Oder keinen, denn das ist am Ende auch egal, wenn es in uns zu klingen und zu schwingen begonnen hat.

Ich plädiere nur für etwas Nachsicht. Lektor:innen sind keine kurzsichtigen Hexen, die mit spitzen Fingern und gerümpfter Nase Manuskripte in die Hand nehmen, um sie möglichst schwungvoll abzusagen, wir sind in den meisten Fällen nur etwas müde und etwas gestresst, weil bestimmt schon wieder eine Deadline abgelaufen ist und während wir der noch hinterherrennen, wächst der Manuskriptstapel neben uns schon wieder an. Vielmehr sind wir auch nach Jahren noch Junkies und wachsen an unserer Sucht, wir wühlen und stöbern und suchen und lesen, lesen, lesen.

Versprochen!

Und ich plädiere für Selbstkritik. Ist dieser Text wirklich etwas, das unbedingt in die Welt gehört? Ist es das Beste, was ich zustande bringen kann? Und habe ich jede Möglichkeit genutzt, um aus einer guten Idee ein klasse Manuskript zu machen?

Und nicht ganz uneigennützig plädiere ich für Professionalität. Ob man sich an eine Literatur:agentin oder an eine freie Lektor:in wendet – die einen kennen den Markt und die Programme der Verlage, beide können mit ihrer Erfahrung einschätzen, ob man das Zeug zur Autor:in hat.

Und jetzt muss ich aufhören, denn ich muss unbedingt noch diese eine Manuskript …


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Die Gretchenfrage: Was ist eigentlich ein gutes Manuskript?

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