Der Buchstabe L. Eine Liebeserklärung.

Lektorat und Verlag, Literatur und Liebe

Wie das Leben selbst fangen viele bedeutsame Dinge darin mit dem Buchstaben L an. Er steht etwas links der Mitte im Alphabet, was grundsätzlich keine schlechte Haltung ist. Er ist schnörkellos und klar und er macht den Anfang bei vielem, was mir wichtig ist.

Die Liebe

Liebe zum Beispiel, die Allheilerin und die Schmiere, die dafür sorgt, dass uns gegen jede Aktualität und Wahrscheinlichkeit hier nicht schon längst alles um die Ohren fliegt, sondern es oft so unfassbar schön ist, dass man weiter Optimist bleiben kann. Die einen niederdrückt und als Einzige auch wieder aufheben kann, die das Herz schwer und leicht machen, die Gedanken lähmen oder beflügeln kann. Durch die wir angreifbar und verletzlich sind und so überhaupt nicht geeignet zum Widerstand und zur Resilienz, die dann wiederum Stärke und Mut und Willen in uns pflanzt. Die mal in Tröpfchen, mal im Schwall kommt, unerwartet oft, leise oder laut, in allen möglichen Gestalten. Die uns alles überhaupt erst beginnen lässt, alles vergeben, verzeihen, die uns matschig macht und durchlässig und die uns eint in unserer Sehnsucht danach.

Die Langeweile

Langeweile gehört in diese Liste (ach ja, Listen! auch so etwas, das ich in seiner Schlichtheit und Funktionalität außerordentlich schätze. Natürlich handgeschrieben. Die Zettelgröße zu verkleinern hilft vor allem bei To-do-Listen enorm). Den Zustand der Langweile empfinde ich gleich erstrebenswert wie das vielbeschworene Glück. Ich meine echte Langeweile, die, die wir als Kinder gespürt haben, nicht Überdruss, weil wir gerade keine Lust haben oder mit etwas beschäftigt sind, das unseren Verstand nicht bei der Stange hält. Sondern der Zustand, wenn sich die Zeit ins Endlose dehnte, die Stunden einfach aneinander kleben blieben und einem nichts weiter übrig blieb, als den Kopf vor sich hin spinnen zu lassen. Vielleicht hört es sich deshalb so erstrebenswert an, weil darin mitschwingt, dass alles andere erledigt ist, nichts mehr drängt, nichts mehr unsere Aufmerksamkeit braucht, einfach nichts ansteht.

Das Lernen

Dann wäre da das Lernen, das Anhäufen und Einhamstern von Wissen, auch wenn sich mit jedem Vordringen in unbekanntes Terrain zehn weitere Wege eröffnen, denen man nachgehen möchte, auch wenn das, was man weiß, weniger wird angesichts dessen, was es noch zu wissen gibt. Es hinterlässt dennoch ein tiefes und sattes Gefühl, sich einem Thema zu nähern, es portionsweise in Häppchen zu zerteilen, es sich dann einzuverleiben und vielleicht beim nächsten Mal das Glück zu haben, dass ein Puzzlestück davon irgendwo hineinpasst.

Die Luft

Luft gehört dazu, echte Luft in allen Ausprägungen – Waldluft, Seeluft, die Luftbläschen im Champagner –, aber auch als das bisschen Platz, das uns zwischen den Dingen bleibt, zwischen diesem und dem nächsten Projekt, dieser und der nächsten Aufgabe, dieser und der nächsten Forderung an unsere Emotionen, unser Wissen, unser Tätigwerden.

Die Langsamkeit

Ein Lob der Langsamkeit möchte ich singen, denn etwas weniger schnell zu tun ist beinahe immer eine Bereicherung. Welch ein Genuss, nicht zehn Dinge auf einmal denken zu müssen, nicht fünf gleichzeitig tun zu müssen, nicht so viel Erledigungen in ein Zeitfenster quetschen zu müssen, wie nur hineingehen, sondern Tage wie das Ausrollen einer Welle zu leben, ein Essen genießen zu dürfen, einen Kaffee zu zelebrieren, Bewegungen wie unter Wasser, im Halbschlaf, selbst die Gedanken abbremsen. Langsamer lesen zum Beispiel …

Die Lyrik

Lyrik zum Beispiel, diese langsamste aller Ausdrucksformen, die, wenn sie ihre Sache gut macht, schneller und unmittelbarer unsere Seele trifft wie kaum etwas Geschriebenes sonst, so viel Alles trägt sie in ihrer strengeren Form, ihrer freiwilligen Beschränkung, in ihrer Kürze in uns hinein.

Die Litschi

Das köstlichste L sind Litschis, diese Frucht, die ich ohne Sinn und Verstand kiloweise in mich hineinschlingen kann, von denen ich nie genug bekommen kann. Viel zu kurz ist die Zeit, in der man sie überhaupt kaufen kann, viel zu lang dauert es, sie aus ihrer Schale zu lösen, viel zu selten erwischt man die mit dem schmalen kleinen Kern, immer ist der köstliche Geschmack zu flüchtig und schon greift man nach der nächsten. Dagegen ist auch mein ökologisches Gewissen machtlos, die reine Gier krakeelt nach mehr und mehr. Der Obsthändler unseres Vertrauens stellt uns bereits Kisten davon zur Seite, denn offenbar ist Litschisucht erblich.

Das Laufen

Laufen muss erwähnt werden, auch das eine scheinbare Banalität, die man schätzen lernt, sobald sie zum Luxusgut wird. Wenn man den ganzen Tag sitzt, zum Beispiel, arbeitshalber, oder nur in Begleitung wesentlich kleinerer Beine zu Fuß unterwegs ist und der Weg das Ziel ist. Laufen, einfach drauflos, in meinem eigenen Tempo, auf Wegen, die ich mir ausgesucht habe, so lange ich mag, das ist in meinem Tortendiagram von Freiheit eines der größeren Stücke.

Die Logik

Logik wäre noch so ein Wort, ein Konzept, dem ich sehr verfallen bin, von dem ich wünschte, mehr würde nach ihrem Prinzip funktionieren und öfter würde sich eins ganz zwingend aus dem anderen ergeben.

Das Licht

Und Licht, Licht muss natürlich genannt sein. Aber oh, wo fängt man da an? Beim ersten Morgenlicht, dass die Dunkelheit von schwarz zu grau wäscht? Beim Gewitterlicht, das alles so vergoren und apokalyptisch wirken lässt? Beim Licht der Kykladen, beim Licht aller Orte nahe eines Meeres, das so unvergleichlich ist und so viel Gutes in uns bewirkt und von dem man immer wieder vergisst, was es kann – wie beim Frühling, der leider nicht mit L beginnt, ein fataler Lapsus (überhaupt: die klangvollen L-Worte wie Labsal, lamentieren, labial, Larynx, lädieren, laisser-faire, Lappalie, lapidar, lasziv, lavieren, Lavabo, lax, leger, leidlich, …), den man ein halbes Jahr herbeisehnt nur um jedes Mal wieder erstaunt festzustellen, dass es so viel schöner ist, als man es ersehnt hat. Wo waren wir? Beim Licht: Kerzenlicht, das leuchtet, als sei jeder Gegenstand nur dafür geschaffen, darin betrachtet zu werden; ein Weihnachtsstern, dessen Wärme Zuhause meint; der Schein des Laptopbildschirms, wenn man nachts als Letzte wach ist, weil es gerade so gut läuft.

Der Laptop

Und natürlich darf der Laptop unter all diesen Ls nicht fehlen, auch wenn es eines der unromantischeren L-Wörter ist, ist er doch Entstehungs- und Speicherort für einfach alles, woran ich mit Hingabe arbeite.

Lebkuchen und Lügen und Leid beginnen dummerweise auch mit L, was ebenfalls ein Fehler sein muss. Man sollte sie dort wegnehmen und bei Urlaub, reisen, Pasta, Kunst, Musik, … hinzufügen.

Die Literatur

Was uns direkt zu einem riesigen L in meinem Leben bringt: Literatur, ohne die einfach gar nichts geht. Meine frühesten Erinnerungen sind mit Büchern und Geschichten verknüpft, meine Eltern lesend, Kinderbücher, die mir so lang vorgelesen wurden, bis ich sie auswendig konnte, endlose, wunderbare, vertrödelte Nachmittage mit geklauten Erwachsenenbüchern. Die ersten Bücher mit schmerzhaftem Erkenntnisgewinn stießen eine Tür auf, die sich bis heute nicht wieder geschlossen hat. Geschichten und Autor:innen, die meine Vorstellungen von nahezu allem so geprägt haben, dass ich manchmal glaube, ich sehe mit Romanaugen in die Welt. Lebensnotwendige letzte Zeilen kurz vor dem Einschlafen, ohne die der Tag nicht zu Ende sein kann. Bücher, die mir in kalten Lebensstürmen letzte Strohhalme waren. Keine Überraschung, dass mir nach der Geburt meiner ersten Tochter die einschießende unendlich Liebe erst einmal die Fähigkeit zum Lesen nahm. (Und wer brachte sie mir wieder? Die Buchhändlerin meines Vertrauens natürlich, die mir ganz beiläufig ein wohlkuratiertes Buch auf die Wochenbettkante legte, dann ging es wieder.)

Die Lektorin 

Keine große Überraschung, dass ich Lektorin geworden bin. Dabei hatte ich von diesem Beruf noch nie was gehört. Jemand, der es sehr gut mit mir meint, gab mir den Schubs in die richtige Richtung, und plötzlich saß ich in einem Zug nach Berlin, wurde von einem Verleger durch seinen Verlag geführt, fand alles sehr nett und so, wie in jedem anderen Büro, das ich bis dahin kannte, nur mit mehr Büchern. Als ich wieder draußen stand, fragte ich mich, ob ich jetzt ein Praktikum hatte oder nicht. Ich hatte. Nach einer Woche wusste ich, wofür ich mein Leben lang brennen würde, wofür ich all meine Energie investieren wollte, Lust und Leidenschaft zweckdienlich einsetzen. Bis heute habe ich mich noch nicht von dem wohligen Schock erholt, dass etwas, was mich so ausfüllt und herausfordert, tatsächlich ein Beruf ist, für den man Geld bekommt. Es ist der pure Luxus.

 

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Gretchenfrage, die zweite: Kann man schreiben lernen?

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