Gretchenfrage, die zweite: Kann man schreiben lernen?

Autor, Autorin, Manusript, Lektorat, Romanwerkstatt

Schreiben, darf man das?

Gerade habe ich das Lektorat an einem Manuskript beendet, das mich auf verschiedenen Ebenen sehr berührt hat. Die Autorin hat den brennenden Wunsch, das unbedingte Verlangen zu schreiben, einen Text herzustellen von Bestand, ihr eigenes Buch im Regal denjenigen hinzuzufügen, deren Texte ihr seit Jahrzehnten geistige Nahrung, Bildung, Unterhaltung und Auseinandersetzung bieten. Dieses Vorhaben erschien ihr so groß, so undurchführbar, so vermessen und beängstigend, dass sie sich selbst in Verdacht hat, seiner Ausführung mit Mutterschaft begegnet zu sein. Denn kaum hat sie das Literaturstudium aufgenommen, das sie diesem Traum näher bringen sollte, wurde sie schwanger. Und dann noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal.

 

Sich vor dem Schreiben verstecken

Neben all dem, was eine Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes, die Verwandlung vom Frausein zum Muttersein ist, ist Mutterschaft auch ein Versteck. Ich darf das behaupten, denn ich habe dieses Versteck für mich benutzt, wenn auch in anderer Form. Ich habe mich vor meinen Ansprüchen an mich selbst, an meinen Körper darin versteckt.

Irgendwann habe ich dieses Versteck wieder verlassen. Irgendwann gehörte mein Körper wieder mehr mir als meinem jeweils jüngsten Kind, irgendwann waren Selbstfürsorge, Sport und gesunde Ernährung nicht mehr Begriffe aus einer bestenfalls komischen, aber doch sehr alternativen Realität. Irgendwann suchte ich wieder den Blick in den Spiegel, wunderbarerweise nicht mehr, um mich zu kritisieren und zu vergleichen, sondern um Bestand aufzunehmen und Sorge zu tragen.

 

Schreiben als Lebenstraum

Wie ist das aber nun, wenn es nicht um diese physischen Dinge, sondern um etwas weit Größeres geht, dem man sich stellen möchte. Wie ist es, wenn man wie im Falle der eingangs zitierten Autorin nicht weniger als den eigenen Lebenstraum vor sich hat, wenn man in den Spiegel seiner Seele schaut? Wie ist das, wenn man schreiben möchte, Autorin sein möchte, etwas tun, das schon so viele tun, etwas, an dem so viele schon gescheitert sind?

Schreiben. Das ist ein Traum für unzählige Menschen. Einmal jemanden mit den eigenen Worten berühren. Einmal etwas erschaffen, kreieren, das für andere Anregung und Zerstreuung bedeuten kann, das Leser:innen abholt, worüber Menschen sich erzählen – Hast du schon den neuen Roman von xyz gelesen? So gut! –, ein Buch, nach dem man in einem Buchladen fragen, das man kaufen kann und bezahlen muss, das verschenkt wird und in Regalen steht, das vielleicht sogar in den Medien besprochen wird.

 

Schreiben als Widerstand

Und hat das nicht auch etwas Romantisches? Etwas Widerständiges? Denn Autorin oder Autor sein taucht heute sicher nicht auf, wenn es darum geht, etwas möglichst Sinnvolles mit seinem Leben, seiner Zeit, seiner Bildung anzufangen. Zu sagen „ich schreibe“, das braucht Kraft. Das muss man sich trauen, wie überhaupt die ganze Schreiberei. Denn schreiben dauert. Hat man denn eine Geschichte? Etwas, worüber man schreiben möchte? Etwas, das im Inneren drängt und drückt und endlich raus möchte? Großartig, dann ist die erste Hürde schon genommen. Und dann? Was, wenn das, was man im Inneren für eine Geschichte hielt, auf dem (digitalen) Papier auf einmal in sich zusammenfällt? Was, wenn es ganz anders klingt als das, was man in den eigenen Gedanken immer gehört hat? Wenn es sich so anders anfühlt als die Texte, die man bisher immer gelesen hat? Hat man dann den Mut, dennoch dranzubleiben? Obwohl es vielleicht gar nichts wird? Obwohl man es vielleicht nicht zu Ende bringt? Und selbst, wenn man einen Text zu Ende bringt, was dann? Hat man den Mut, sich damit zu zeigen? Zu sagen: Da, das ist von mir. Das hab ich gemacht. Und, wie findest du es? Hat man die Ausdauer, diesen Text vor sich her zu tragen, immer wieder Anlauf zu nehmen, um ihn sichtbar zu machen? Hat man die Stärke, ein Nein zu akzeptieren, ein Mir egal?

Was ist, wenn einen die Zweifel nicht loslassen, wenn sie blockieren und einem die Lust nehmen? Hand aufs Herz – wie viele Texte, Anfänge, Abbrüche habt Ihr schon in Ordnern ganz tief in Euren Rechnern vergraben und geschworen, dass sie nie jemand zu sehen bekommt, oder noch schlimmer, unwiderruflich gelöscht? In Schriftsteller:innen-Biographien liest sich das heroisch, wenn man von den Dutzenden Versuchen erfährt, die es brauchte, bis jemand den Erfolg hatte, der ihm schließlich zuteilwurde. Wo lesen wir von denen, bei denen es nicht geklappt hat?

Schreiben, um zu erzählen 

Einander Geschichten zu erzählen ist ein Kulturgut, das uns seit unseren Anfängen begleitet. Und auch wenn sich die Art und die Medien des Erzählens ändern, die Lust auf und die Suche nach Geschichten ist ungebrochen. Sie aufzuschreiben ist nur eine logische Weiterentwicklung dessen, was schon immer stattgefunden hat. Lohnt es sich also doch, den Traum vom eigenen Buch, vom eigenen Roman zu verfolgen? Aber wie? Wird man als Autor:in geboren? Muss man aus einem musisch-künstlerischen Elternhaus kommen, Literaturwissenschaft studiert haben oder doch zumindest von der Muse geküsst worden sein? Schadet sicher alles nichts.

 

Schreiben als Behauptung

Autor:in ist, wer sich Autor:in nennt. Anders als in den meisten Berufen, bei denen es bestimmte Qualifikationen braucht, um sie ausüben zu können, bei denen man bestimmte Dinge beherrschen muss, damit man ein Produkt herstellen kann, gibt es keine Behörde, kein Institut, keine Universität, einfach nix und keinen, der einem das Siegel „Autorin“ aufdrückt. Diejenigen, die wir dafür halten, definieren dann auch ganz unterschiedliche Momente, von denen an sie sich als Autor:in fühlten: die erste geschriebene Geschichte, ein Verlagsvertrag, die erste Rezension, manchmal aber auch nur ein Gefühl. Die einzige Instanz, vor der man zunächst einmal bestehen muss, ist man selbst.

So einfach ist das? Ja, so schwer ist das. Denn wer ist der größte Verhinderer unserer Träume? Wer hält uns am meisten auf? Wer steht uns am prominentesten im Weg? Klar, wir selbst. Unsere Ansprüche (das muss mindestens so gut sein wie xy), unsere Sozialisation (du kannst doch nicht so etwas Brotloses machen), unser Selbstwertgefühl (das kann ich sowieso nicht) und noch hundert kleine Teufel:innen mehr. Aber versucht es doch mal. Behauptet doch mal: Ich bin Autorin. Genau. Da kommt keiner und hält Euch irgendein Gesetz unter die Nase, in dem steht, Ihr dürft das nicht.  

 

Schreiben als Form von Elite

Gerade in Deutschland wird dem gedruckten Wort noch immer eine besondere Stellung eingeräumt. Da steht es schwarz auf weiß. Der lügt wie gedruckt. Und während wir uns noch an unseren Goethes und Schillern abarbeiteten, besuchte man woanders schon heiter Creative-Writing-Seminare, ließ sich von Autor:innen und anderen Schreibenden erklären, wo die Tücken der Profession liegen, nahm man sich einen Coach, wenn es trotz aller guten Vorsätze doch noch ruckelte, frönte man dem Selfpublishing, anerkannte man ganz selbstverständlich neue Genres, wenn die alten keinen Platz mehr hatten für das, was man produzierte.

Es hilft wie immer Einzelnen, wenn man Götter im Olymp belässt, Menschen mit etwas schwer Fassbarem wie Genialität ausstattet und Verlage oder Literaturkritiker:innen bestimmen lässt, wer sich Autor:in nennen darf und wer nicht. Längst hat dieses undemokratische Internet vieles davon schmelzen lassen. Auch die weltberühmte Bestsellerautor:in hat mal Angst vorm weißen Blatt gehabt, auch der Publikumserfolg hat weniger gute Texte geschrieben, auch der und die auf der Spiegel-Liste haben mal klein und verzagt angefangen.

Kann man das Schreiben also lernen? Ja, wenn man Schreiben als Handwerk begreift. Nein, wenn mit Schreiben der Funke gemeint ist, der in jedem brennt, der kreativ arbeitet.

 Ja, ich glaube, dass man Autor:insein in sich hat. Ja, ich glaube, dass es ein Talent und eine Begabung dafür braucht. Ja, ich glaube, das literarisches Schreiben eine Form der Kunst ist, die wie jede Kunst etwas Universelles erschafft, etwas Wahres, etwas, das uns in unserem Innersten zu berühren vermag. Jede und jeden anders, jede und jeden an einer anderen Stelle. Und das kann man niemandem einpflanzen. Ich zumindest nicht.

 

Schreiben als Handwerk

Ist dieser Keim, dieses Pflänzchen, diese Kraft und Energie, ist das Leuchten und Funkeln da, dann geht die Arbeit los. Und diese Arbeit kann man sich draufschaffen wie jedes andere Handwerk auch. Man kann länger oder weniger lang dafür brauchen, man kann besser oder nicht so gut darin sein, es kann einem schwerer oder leichter fallen, man kann das Ergebnis mögen oder viele andere können das Ergebnis mögen. Man kann gute oder schlechte Lehrer:innen haben und kann einen Lebenszweck für sich oder nur eine schöne Beschäftigung darin entdecken.

Was man aber in jedem Fall kann, ist, ein ganzes Stück besser darin werden. Man kann lernen, über seine eigenen Texte kritisch nachzudenken, Maßstäbe an sie an- und Grundlagen für Plot und Figurenzeichnung unter sie drunterzulegen. Man kann an seinen Sätzen feilen und schleifen, sägen und hämmern, man kann die Struktur seines Textes umgraben, Absätze umtopfen, Kosmetik betreiben. Man kann sich bilden, an und von anderen Autor:innen lernen, vom Feedback anderer Schreibender profitieren. Man kann seinen Text zur Begutachtung und zur Diskussion stellen. Man wird wahrscheinlich nie zu Ende sein damit, an jedem neuen Text vor neuen Schwierigkeiten stehen.

Wobei man Hilfe braucht, merkt man schnell selbst, sobald man sich zum Schreiben entschlossen hat, oder falls nicht, gibt es genügend professionelle Menschen, die einem dabei helfen zu identifizieren, wo es hängt. Und dann ist es wie bei der Facharztsuche: mit ein bisschen Recherche findet man diejenige, deren Expertise am besten zu einem passt. Hat man kein Problem, seine Geschichte in einem schönen Bogen mit Aufs und Abs zu einem eindrücklichen Ende zu führen, braucht man wahrscheinlich keine Hilfe beim Plotten. Schwärmen alle Testleser begeistert von den toll gezeichneten Figuren und wie sehr sie sich haben in sie hineinversetzen können, liegt da sicher nicht das Problem. Bekommt man seinen Text mit lauter unterstrichenen Sätzen zurück, die so eindrücklich sind und so schöne Bilder darstellen, kann man sich auf seinen Stil weitgehend verlassen.

 

Schreiben als Intimität

Menschen, die literarisch schreiben wollen, sind so verschieden, wie die Geschichten, die sie zu erzählen haben. Es verblüfft mich immer wieder, dass beinahe jeder Mensch, den man trifft, etwas Bemerkenswertes in sich trägt. Etwas, das lohnt, aufgeschrieben zu werden. Schreiben ist insofern viel mehr als ein Handwerk, weil es so viel von der eigenen Persönlichkeit mitnimmt, sodass ein Buch, auch wenn es nichts Biographisches hat, immer etwas Intimes ist, es ist ein Produkt der eigenen Gedanken. Und wie immer, wenn Menschen träumen, gibt es einen Markt, der verspricht, diese Träume zu verwirklichen. Wie immer muss das Teuerste nicht das Beste sein, wie immer muss das, was am schönsten glitzert, nicht am schnellsten oder überhaupt zum Erfolg führen. Schreiben und am eigenen Schreiben arbeiten braucht Vertrauen, eine gemeinsame Basis, Aufrichtigkeit, Geduld und Leidenschaft. Manchmal ist es nur eine andere Schreibende, die einen mit gemeinsam ausgemachten Status-Meetings die nötige Verbindlichkeit gibt. Manchmal ist es eine Gruppe, die einem zu Energie und dem richtigen Spirit verhilft – kein schlechtes Gefühl, wenn man spürt, man ist mit seinem Traum nicht allein auf der Welt. Manchmal braucht es konkrete und professionelle Hilfe, die es in den unterschiedlichsten Angeboten gibt.

 

Die Autorin, von der ich sprach, hadert noch immer mit ihrem Autorinnendasein. Doch sie hat die Scheu davor abgelegt, etwas zu verfolgen, von dem man nicht weiß, was dabei herauskommen wird, das ihr aber so wichtig ist wie jedes ihrer eigenen Kinder. Sie hat die Scheu zusammengefaltet und wie einen geliebten, aber aus der Mode gekommenen Wintermantel und in eine Kiste gepackt. Ganz kann sie sich noch nicht davon trennen, immer mal wieder, wenn es kalt und ungemütlich wird, wird sie diese Kiste hervorholen und den Mantel anprobieren und jedes Mal wieder feststellen, dass er einfach nicht mehr zu ihr passt.

 

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